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Überführung hardcore:
Im Winter quer durchs Mittelmeer
Von Elke 2.5.2006
Das fängt ja gut an! Blitze zucken über den Novemberhimmel, Böen schütteln das Schiff schon in der Marina durch, es regnet, nein, es schüttet. Eingeweht im Ausgangshafen, toller Beginn einer Überführung!
Sophie heisst die Jeanneau Sun Odyssee 40.3, die wir von Gruissan an der französischen Mittelmeerküste nach Bodrum in der Türkei bringen sollen. Ein schönes Schiff, brandneu, gerade von der Werft hierher gebracht und zu Wasser gelassen. Wir, das sind Skipper (54) und Navigatorin (40), ein eingespieltes Seglerteam, das ab und zu neue Schiffe zu Ihrem Bestimmungshafen überführt. Solch eine Überführung zu zweit ist kein Urlaub, zumal im Winter, wenn Nord- und Ostseesegler die Saison schon längst beendet haben. Es geht darum, ein Schiff möglichst schnell und natürlich sicher von A nach B zu bringen, also Tag und Nacht bis zum Ziel durchzufahren, sofern das Wetter mitspielt.
Mit kleinstem Gepäck, das nur Ölzeug und Fleecekleidung, unsere eigenen automatischen Rettungswesten mit Lifebelts, einen Waschbeutel, zwei Schlafsäcke und ein wenig Unterwäsche zum Wechseln beinhaltet, kommen wir in Gruissan an. Sophie liegt vor Mooring und Heckleinen in der Marina, Diesel- und Wassertank sind gefüllt, sie ist bereit zur Abfahrt. Noch schnell ein paar Lebensmittel einkaufen, alles gut an Bord stauen, und nichts ist es mit Leinen los. Es bläst mit Macht, der Wetterbericht verheisst noch Schlimmeres, und das kommt tatsächlich. Der Golfe du Lion ist eine der windigsten Ecken des Mittelmeeres, und er macht seinem Namen alle Ehre. Nun, Sicherheit geht vor, und wir entscheiden uns, das Tief mit seinen Gewittern und Sturmböen in der Marina abzuwettern.
Vor uns liegen 1.200 Seemeilen von West nach Ost durchs Mittelmeer, der Kurs führt quer über den Golfe du Lion, durch die Strasse von Bonifacio, gen Süden über das Thyrhennische Meer, durch die Strasse von Messina, über das weite Ionische Meer, durch die Strasse von Kithira, dann noch quer über die Ägäis bis zur türkischen Küste. Ein wunderschöner Trip, den wir allerdings im Eiltempo absolvieren müssen. Einen Stop unterwegs gibt es nur dann, wenn das Wetter es unbedingt erfordert oder wenn der Dieselvorrat zur Neige geht.
Endlich bessern sich die Bedingungen etwas, und wir können starten. Mittags laufen wir aus Gruissan aus. Es steht noch eine eklige alte Welle gegenan von den vorherigen Sturmtagen, und das Wasser ist flach vor der Küste. Jede Menge Kleinholz schwimmt im Brandungsgürtel, sogar dicke Baumstämme wollen im Slalom umfahren werden. Nach und nach kommen wir in tieferes Wasser, Kurs Bonifacio liegt an. Wir opfern Rasmus und Neptun ein Schlückchen Rum, damit sie uns guten Wind und gute Wellen bescheren.
Bis Bonifacio ist dann nicht sehr gemütlich, wir fahren unter Motor mit Genua-Stützsegel gegen den mässigen Wind und den alten Schwell. Die Navigatorin ist ziemlich grün im Gesicht und legt sich erst einmal schlafen. Das ist immer noch die beste Medizin gegen aufkommende Seekrankheit. Wenige Stunden später sind wir beide an Deck, nur der Appetit lässt zu wünschen übrig. Langsam gewöhnen wir uns wieder an den Wachwechsel. Einer von uns muss präsent sein, der andere darf sich in die Koje verholen. Nein, einen militärisch strengen Zeitplan also 4 Stunden Wache, 4 Stunden Freiwache haben wir nicht. Wir passen den Rhythmus vielmehr den äusseren Gegebenheiten und der persönlichen Tagesform an. Ist es ruhig und der Wachhabende ist fit und munter, kann es schon einmal länger bis zur Ablösung dauern. Ist draussen ein Hexenkessel oder der Wachhabende ist müde, tauschen wir früher. Bei Bedarf halten wir Doppelwache, wir sind also beide da, wenn uns viel Schiffsverkehr oder schwierige Navigation besonders fordern. Dieses flexible System hat sich für uns beide bewährt. So ist die Wache immer konzentriert, Schiff und Crew sind in guten Händen.
Gegen Abend stehen wir kurz vor der Strasse von Bonifacio. Der Wind dreht nach und nach auf West und legt immer mehr zu. Die Genua ist längst auf Surfsegelgrösse gekürzt, doch noch immer schiessen wir die Wellen hinunter. Das ganze westliche Mittelmeer scheint sich hier durch ein Nadelör zu pressen, entsprechend hoch und konfus ist der Seegang. Die Feuer der Strasse sind schon gut zu erkennen, als wir hineinfahren. Noch heftiger wird der Seegang, denn die vielen Kaps, Inseln und Untiefen tragen das ihre zum Chaos bei. Dann kommt auch noch ein grosser Frachter von achtern auf, er hat eindeutig Wegerecht und wir müssen zusehen, ihn irgendwie vorbeizulassen. So viel schneller als wir ist der grosse Bruder gar nicht. Wir müssen immer mehr anluven, und es dauert eine kleine Ewigkeit, bis er uns endlich überholt hat und wir wieder abfallen dürfen. Nicht einmal der starke Wind macht das Manöver so schwierig, es ist eher der hohe Seegang, der uns gnadenlos herumwirft.
Bei Sonnenaufgang sind wir durch, die Welle wird durch die Abdeckung der Maddalenas etwas flacher. Der Wetterbericht spricht von West 4 See 4, das lässt auf Beruhigung hoffen, und wir wissen ja, dass die Düse von Bonifacio noch meilenweit hinaus aufs Thyrhenische Meer wirkt. Also nehmen wir trotz des anhaltenden Starkwindes direkten Kurs auf die Strasse von Messina. Leider wird es nichts mit dem Abflauen, der Wind nimmt im Gegenteil immer mehr zu, und die Wellen erreichen beeindruckende Höhen. Lange Brecher hinterlassen grosse, marmorierte Flächen, wir sind heilfroh, ablaufen zu können. Meistens benimmt Sophie sich trotz mittlerweile West 8, in Böen 9 ganz brav, sie surft nur kurz und der Autopilot kann den Kurs allein halten. Doch dann rollt eine Riesenwelle heran, viel, viel höher als die anderen, und nimmt Sophie mit. Es gibt einen wilden Surf mit 11 Knoten Speed, weissem Schaum ringsum bis auf die Seitendecks und völlig vibrierendem Schiff. Als das Herzklopfen endlich nachlässt kürzen wir schnell die Sturmfock noch weiter, wir müssen noch mehr Speed herausnehmen. Die Wetterfrösche haben wohl vergessen, die beiden Vieren zusammenzuzählen!? Zu gern würden wir sie ein paar Meilen mitnehmen, um ihnen ihren West 4 einmal live zu zeigen. Doch das Schimpfen hilft nichts, nun sind wir jenseits aller Fluchthäfen und müssen durchhalten. Glücklicherweise liegt die ganze Länge des Thyrrhenischen Meeres zum Ablaufen vor uns, das macht die Sturmfahrt erträglich. Abwechselnd versuchen wir, ein wenig Schlaf zu finden, doch das ist bei dem schwer rollenden Schiff gar nicht so einfach. Alle möglichen Decken und Kissen stopfen wir in der Koje um uns herum, dennoch kugeln wir darin hin und her. Da wir alle 2 Stunden wechseln, sind wir herzlich müde, als nach fast 2 Tagen und Nächten der Wind endlich böig wird und schliesslich nachlässt.
Bevor wir uns ein wenig mehr Schlaf gönnen können, müssen wir noch ein Problem der besonderen Art lösen: während einer Überführung müssen wir unterwegs nachtanken. Wir führen 200 Liter Diesel in Kanistern mit, die in beiden Backskisten gestaut sind. Der Wind ist zwar nicht mehr so stark, doch die See beruhigt sich nicht so schnell, es schaukelt noch immer ganz gewaltig. Wie bekommen wir also bei diesen Verhältnissen den Diesel aus den Kanistern in den Tank? Und das ohne Schweinerei? Wir haben einen patentierten Schüttelschlauch dabei, der super funktioniert (keine Schleichwerbung, sondern unsere eigene Erfahrung vieler Seemeilen und Überführungen). Der Kanister kommt direkt neben den Einfüllstutzen, das eine Ende des Schlauches dort hinein und das andere in den Kanister, beide Enden umwickeln wir mit sauberen Lappen. Schütteln, bis der Diesel läuft und abwarten, bis der Kanister leer ist, so einfach ist das! Trotz wilder Schaukelei geht nichts daneben, es landet kein Diesel auf Sophie und schon gar nicht im Wasser. Als das geschafft ist, dürfen wir bei viel weniger Wind und sich beruhigender See ausruhen. Am späten Nachmittag lässt sich sogar die Sonne blicken, wir geniessen die Ruhe nach dem Sturm.
Doch leider bleibt das schöne Wetter nicht lange. Es kommt ein klassischer Aufzug mit Cirrus, Altostratus, Stratus von Westen anmarschiert. Kurz vor den Liparischen Inseln, die weder einen sicheren Hafen noch einen guten Ankerplatz bieten und bei denen wir mit langen Thunfischnetzen rechnen müssen, zucken die ersten Blitze über den westlichen Himmel. Ganz schwarz ist es da, nun ist guter Rat teuer. Schnell bergen wir die Segel und werfen den Motor an. Alle Elektrik und Elektronik, die nicht dringend gebraucht wird, schalten wir aus. Positions- und Kurskontrolle, Eintrag ins Logbuch, dann Rettungswesten angelegt und Lifelines eingehakt, so erwarten wir das Gewitter. Wohl ist uns wirklich nicht dabei, Gewitter auf See fürchten wir beide mehr als Sturm. Kurz danach sitzen wir mittendrin, die gerade mal 5 Seemeilen entfernte Insel Salina ist in den schweren Regenschauern nicht mehr zu erkennen. Manchmal können wir gerade noch unseren eigenen Anker sehen, so sehr schüttet es. Böen fallen aus allen Richtungen ein, es blitzt rundherum. Wir halten beide intensiv Ausschau, doch Netze sehen wir nicht, die haben die Fischer bei diesem Wetter wohl gar nicht ausgebracht. Endlich liegen die Inseln hinter uns, und das Gewitter zieht in Richtung des italienischen Festlandes ab. Abwechselnd verholen wir uns noch jeweils ein Stündchen in die Koje, mehr ist nicht drin, denn wir stehen schon kurz vor der Strasse von Messina.
Das nächste Nadelör wartet mit viel, viel Berufsschiffahrt und komischen Strudeln auf uns. Seit der Antike ist die Strasse von Messina berühmt und auch berüchtigt. Die Strudel sind heutzutage zwar recht zahm geworden, doch der Schiffsverkehr macht unsere Doppelwache erfoderlich, vier Augen sehen eben doch mehr als zwei. Die Frachter und Tanker fahren ja noch berechenbare Kurse, sie
bleiben im Verkehrstrennungsgebiet, fahren mit uns von Nord nach Süd oder kommen uns von Süd nach Nord entgegen. Schlimmer für uns kleine Schifflein sind die vielen Fähren, die zwischen Bella Italia und Sizilien pendeln, denn sie haben Vorrang vor allen anderen Schiffen. Einmal kurven wir zwischen fünf Fähren gleichzeitig herum, also ist äusserte Vorsicht angesagt, denn die Biester sind sehr schnell. Mal müssen wir aufstoppen, dann wieder Vollgas geben, um uns von ihnen freizuhalten. Wegen der unruhigen Wetterlage und auch, um Diesel nachzubunkern, wollen wir Reggio Calabria anlaufen.
Früh morgens kommen wir in den Hafen, biegen gleich am roten Feuer um die Ecke und legen direkt an der Tankstelle an. Freundliche Helfer werfen uns Leinen zu und füllen den Schiffstank und alle Reservekanister wieder auf. Da es über Sizilien schon wieder blitzt, entschliessen wir uns, nicht direkt wieder abzulegen und weiterzufahren. Wir ergattern einen der raren Liegeplätze in der kleinen Marina, dorthin verholen wir Sophie, und der Hafenmeister versorgt uns mit dem aktuellen Wetterbericht. Wie erwartet sind weitere Gewitter und stürmischer Wind vorhergesagt, das bedeutet einen Liegetag, den wir dazu nutzen, richtig auzuschlafen, die nassen Sachen einigermassen zu trocknen und uns gegen Abend die Beine auf der Strandpromenade zu vertreten, ein nasses und windiges, daher fragwürdiges Vergnügen.
Total verschiedene Wetterberichte lassen uns am nächsten Morgen grübeln, was zu tun ist. Das nächste dicke Tief stürmt schon über Gibraltar, und die Wetterküche des vor uns liegenden Ionischen Meeres lässt wohl selbst die Meteorologen verzweifeln. Ein Wetterbericht spricht von West 5, also achterlichem Wind, ein anderer behauptet das glatte Gegenteil: über der Osthälfte des Ionio sollte ein kleiner, hässlicher Trog liegen, der Ost 6 bringen könnte. Nun ja, 6 gegenan, und das in einem eng begrenzten Gebiet, also nicht allzu lange, das ist mit einem modernen Schiff wirklich machbar und es ist für uns durchaus nicht ungewöhnlich, da wir doch gewohnt sind, im sommerlichen Meltemi zu segeln, der noch ganz andere Windstärken auf Lager hat. Unsere erste Taktik Richtung Kithira ist: Kurs halten, solange es geht, die zweite: Süd machen, da dort ein Winddreher auf Süd bis Südost angesagt ist, und die dritte: wenn nichts mehr geht, eben ablaufen, und sei es zurück gen Westen. Was soll schon passieren auf dem weiten Meer, wo weit und breit kein Land dem Schiff gefährlich werden kann? So moralisch gewappnet legen wir ab. Die strahlende Sonne zaubert eine Fata Morgana übers Wasser, die Dickschiffe scheinen über dem Horizont zu schweben. Mangels Wind muss Sophies Jockel als Flautenschieber ran. Wir haben einen tollen Blick auf den Ätna, verschneit grüsst er über die Wolkenbänder herüber und produziert seine eigene, langgestreckte Wolke, die meilenweit aufs offene Meer hinausreicht. Die erste Hälfte des Ionio bringen wir schnell hinter uns.
Irgendwann kommt dann tatsächlich Ostwind auf, aber noch können wir unter Motor und Genua-Stützsegel, dann Gross-Stützsegel unseren Kurs Richtung Peleponnes halten. Doch die angesagten 6 Windstärken erweisen sich schnell als stark untertrieben. Wir sind gezwungen, so hoch wie möglich am Wind, na ja, eher an der Welle, gen Süden zu laufen. Es folgt eine wirklich scheussliche Nacht mit heulenden Böen, Wahnsinnswellen und Löchern dahinter, in die Sophie nur so hineinklatscht, Wolken von Gischt über sich schleudernd. Wir messen konstant Ost 9, in Böen mehr, wir mögen gar nicht mehr hinschauen. Sophie kämpft sich tapfer die Wasserwände hinauf, noch immer ein klein wenig mehr Ost als platt Süd machend. Das gibt uns die Hoffnung, die wir brauchen, um weiterzumachen und nicht das Handtuch zu werfen, sprich abzulaufen. Wir kommen in dieser Nacht nicht zum Schlafen, sind beide permanent an Deck bzw. am Navigationstisch und halten uns gegenseitig aufrecht. Es stimmt schon, das schwächste Crewmitglied ist niemals das Schiff, sondern immer die Menschen darauf. Sophie hält sich prächtig gegen diesen Monsterseegang, nur uns sinkt mit jeder weiteren Sturmstunde der Mut immer tiefer. Es ist noch immer nicht wirklich gefährlich, freien Seeraum haben wir massig um uns herum, aber sehr, sehr ermüdend. Die Schiffsbewegungen sind so heftig, dass wir uns kaum halten können und öfter in den Seilen, also im Lifebelt hängen. Nass von innen und aussen sind wir sowieso. Mitten in der Nacht fangen wir über VHF 16 ein Mayday-Relay auf, die Weiterleitung eines Notrufes durch die griechischen Behörden. Es handelt sich um einen Segler namens Erika, erst in schwieriger Situation, dann sinkend, Positionangabe sehr vage: 50 Meilen westlich Kreta. Da wir den Ruf mit unserem VHF empfangen können, müssen wir ganz in der Nähe sein! Natürlich halten wir die Augen auf, doch wir sehen Erika nicht. (Später erfahren wir, dass Erika ein 12 Meter langes Segelschiff unter ukrainischer Flagge ist, 8 Personen an Bord, Mastbruch. Sie werden nach vielen Stunden der Suche von einem riesigen Containerschiff ca. 50 Meilen südwestlich von Kreta, tatsächlich ganz in der Nähe unseres Kurses, gefunden und schliesslich vom Helikopter eines griechischen Kriegsschiffes abgeborgen. Die von den griechischen Rettern dabei gemessene Windstärke war 9.) Endlich, endlich kommt der ersehnte Winddreher auf Süd, wir können wieder auf unseren Kurs gen Kithira gehen. Sofort wird es ein klein wenig ruhiger, und wir sind glücklich, die hart erkämpfte Länge gehalten zu haben. Mit dem Südwind kommen dicke Wolken, es wetterleuchtet
ringsherum. Unseren Nerven wird aber auch gar keine Pause gegönnt! Den Rest der Nacht verbringen wir beide an Deck, bis in der Dämmerung endlich die hohen Berge des Peleponnes in Sicht kommen. Wir sind heilfroh, dass die Gewitter schneller ziehen, als wir segeln. Den nachfolgenden Regen nehmen wir gern in Kauf, denn damit ist das Schlimmste vorüber.
Nun müssen wir unbedingt schlafen, denn in der Strasse von Kithira sind wir wegen des starken Schiffsverkehrs wieder beide gefordert. Die Gewitter toben sich an den Bergen aus, wir bekommen ein paar heftige Schauer ab. Was bleibt uns übrig als bei abflauendem Sturm und riesiger Welle die Augen zu schliessen und ein bisschen zu dösen, richtig schlafen können wir beide ja doch nicht. Mittlerweile haben wir keinen trockenen Faden mehr, wir versuchen mit mässigem Erfolg, die nasse Wäsche im Schlafsack mit unserer Körperwärme ein wenig zu trocknen. Trotzdem sind wir leidlich erholt, als wir gegen Mitternacht Kap Tainaro querab haben. Wider Erwarten sind nicht viele Schiffe unterwegs, so haben wir eine ruhige Passage. Auch Wind und See haben sich beruhigt, selbst die Regenschauer sind seltener und weniger heftig. Zwischendurch werden wir von einem Dickschiff per Suchscheinwerfer angeleuchtet, auch sie haben wohl die unglückliche Erika gesucht. Kithiras helles Feuer begleitet uns noch lange, nachdem wir Kap Maleas im Kielwasser gelassen haben. Wir hoffen, dass unser Heimatrevier, die Ägäis, gnädiger zu uns ist.
Die ersten 60 Meilen bis Milos geht es bei Südost 6 fast ruhig zu, dann geht es noch einmal richtig zur Sache. Erst 7, dann 8 Windstärken mit 9er Böen, wir stampfen so hoch wie möglich am Wind, immer noch Kurs Ost haltend. Und noch einmal müssen wir nachtanken, doch das ist auf diesem Kurs wirklich nicht zu machen. Zähneknirschend müssen wir für die Diesel-aus-den-Kanistern-in-den-Tank-Aktion eine Weile ablaufen. Alles geht gut, doch wir haben wichtige Höhe verschenkt. Gerade so eben können wir zwischen Kalymnos und Kos durchschlüpfen. Kos gibt uns das ersehnte Wellenlee, doch die Fallböen knallen so hart von den Bergen herunter, dass wir so kurz vor dem Ziel tatsächlich überlegen, in Lee von Kos zu ankern und das Schlimmste dort abzuwarten. Jede Menge Dickschiffe liegen dort auf Reede, und die Crews gucken von ihren hohen Brücken kopfschüttelnd auf uns Verrückte hinunter. Doch siehe da, das Unerwartete passiert: hinter Kos hat jemand den Wind-aus-Schalter gefunden, es weht gerade mal noch mit Südost 6, also fast nichts mehr für unseren Geschmack. Die letzten Meilen werden wir mit frischer Brise gen Norden geblasen, so macht Segeln richtig Spass!
Nachmittags sind wir dann endlich in Bodrum, hundemüde, nass von innen und aussen, aber sehr, sehr glücklich, dass wir Sophie und uns heil hierher bekommen haben. Wir belegen die Leinen, klettern an Land und schwanken mit mächtigem Seemannsgang unseren Freunden entgegen, die uns mit einem Efes-Bier willkommen heissen. Lang klönen wir nicht mehr, dazu sind wir zu müde. Nach einer ausgiebigen Dusche ruft die Koje mit Macht.
Fazit dieser Winterüberführung: 3 ausgewachsene Stürme, von denen der achterliche bei Bonifacio und auf dem Thyrrhenischen Meer noch am besten abzuwettern war, der Trog auf dem Ionischen Meer am dichtesten an gefährlich kam und auch die Ägäis richtig Zähne gezeigt hat. Doch das Schlimmste waren die Gewitter, da fiel uns jedesmal das Herz in die Hose. Blitze überall, Böen aus allen Richtungen, chaotische See, das alles unberechenbar, ausweichen zwecklos. Alles, wirklich alles artete bei diesem Wetter in akrobatische Schwerstarbeit aus, egal ob Navigation, Essen zubereiten (wir haben beide eine gute Diät hinter uns), WC-Gang, schlafen, an- und ausziehen. Die ganze Zeit sind wir nur zum Schlafen aus dem Ölzeug herausgekommen, und so konsequent und dauerhaft mit Lifebelt oder gleich Rettungsweste mussten wir auch noch nie segeln. Dieser bleibt uns wohl als Rettungswestentörn in Erinnerung. Positiv: wir haben noch einmal viel Schwerwetter-Erfahrung gewonnen, können uns blind aufeinander verlassen und haben Vertrauen in Serienschiffe bekommen, die können nämlich immer noch viel mehr vertragen als die Crew. Aber frage uns momentan bloss keiner, ob wir demnächst wieder eine Überführung fahren....
Fin bis zur nächsten Überführung.
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