-
Der Insider
- Wandern auf dem Carian Trail: Von Hayitbükü nach Palamut
von Insider

17.05.2014


Dies ist der zweite Teil der Etappe von Domuzçukuru nach Palamut. Wir haben die im Carian Trail-Führer angegebene Gesamtlänge von 17,5 km auf zwei Tage verteilt, weil die bergige Strecke an einem Tag nur für sehr geübte Trail-Wanderer machbar ist. Die zweite Etappe geht von Hayitbükü, wo wir nach der ersten Etappe in der Ortam Pansiyon gelandet waren, über Ovabükü nach Palamut.


Wir verlassen Hayitbükü gegen 9:45 und folgen der Straße nach Ovabükü. 20 Minuten später kommen wir dort an den Strand und finden am vierten Strommast die rot-weiße Markierung für unseren Trail. Auf der Landseite rechts stehen gefällige Sommerhäuser in gepflegten Gärten, links öffnet sich der weite Meerblick bis zu den griechischen Inseln. Etwa in der Mitte des Strandes signalisiert eine rot-weiße Winkelmarkierung die Abzweigung von der Küste nach rechts, sanft ansteigend die Straße hinauf. Nach ungefähr 10 Minuten treffen wir oben auf die T-Straße, die rechts nach Datca und links nach Palamut führt. Gleich an der Ecke ein kleiner Laden und ein Teehaus am Straßenrand, zu so "früher" Stunde beide noch geschlossen. An der Abzweigung geht der Weg nach links weiter. Kurze Zeit später kommt eine leichte Kurve; ab jetzt geht's steiler bergauf.

Der Blick schweift über das offene grüne Tal mit den weit auseinander gesprenkelten alten Steinhäusern zwischen Oliven- und Pinienbaumgruppen. Der Wind fächelt Kühle vom Meer heran, Temperatur um die 25°. Wir erreichen das Dorf Mesudiye mit seinen schlichten alten Häusern, wenige aus Naturstein, die meisten in der typischen Betonbauart. Linkerhand passieren wir eine Moschee mit schlankem Minarett neben einer alten, verlassenen Schule mit eingeworfenen Fensterscheiben. Kurze Zeit später wieder eine rechtwinklige Abzweigung nach Norden. Einige alte Männer, die uns freundlich mit "Merhaba" und "Günaydin" begrüßen und zurückwinken kommen uns entgegen.

Wir laufen durch den Ort bis die Straße an einem Brunnen endet und der nach rechts abzweigende Schotterweg gemächlich ansteigt. Wir folgen ihm bis wir uns prompt verlaufen haben. Eine Frau winkt von ihrer Terrasse und ruft einem Mann zu, der uns armschwenkend entgegen kommt und gestikulierend klar macht, dass wir ein Stück zurück und dann nach rechts in Richtung der hohen Pinien abbiegen müssen. Das rote X, das „Stop, nicht weiter!“ war aus der Perspektive von unserem Weg aus nicht zu sehen. Hier fehlt ein sichtbareres Signal für die Wegabbiegung. Eine andere alte Frau erscheint vor ihrem Haus und winkt uns kichernd zu, und deutet ebenfalls in die Richtung, in die wir gehen sollen.


Wir finden zunächst keine Wegmarkierung, dann aber endlich doch hinter einem Felsen eine leicht verwitterte an einem dünnen Pinienstamm. Langsam steigen wir zwischen den Bäumen auf und befinden uns weiter oben auf engem, rutschigem Pfad durch kratziges Gestrüpp. Schließlich bleiben die Bäume zurück und wir haben zwischen den Sträuchern einen herrlichen Ausblick auf die Bucht von Ovabükü und das silbern funkelnde Meer. Hier oben ist es angenehmer und auch stiller als unten auf der Straße und im Ort. Der Wind vom Meer macht das Laufen auf der jetzt schmalen, eben verlaufenden Schotterpfadpiste zur reinen Erholung. So geht es eine halbe Stunde gemächlich auf halber Höhe dahin. Rechts und links wachsen Thymian, Salbei und Rosmarin und vermischen ihren Duft zu einem wundervollen Bouquet aus Kräutern der Provence. Anemonen, pinkfarben, und ginsterartiges gelbes Feingestrüpp ziehen sich den Hügel hinauf und hinunter und verkünden, dass hier noch Frühling ist.

Um 10:45 sind wir 152 m über dem Meer und steigen nun wieder abwärts in die Schneise einer Schlucht, durch die ein dünnes Rinnsal silbern blinkend fließt. Es riecht jetzt intensiv nach Salbei. Anders als am Tag zuvor sind wir heute nicht mehr unmittelbar am Meer. Der Trail führt anders als von der Wildschweinbucht nach Hayit nicht zu den Stränden hinunter, sondern jeweils nur ein Stück weit, dann wieder bergauf. Die Route ist weniger anstrengend, wir kommen gut voran.

Unter einem Schatten spendenden Johannisbrotbaum halten wir an. Da wir keinen Marnic aus Brüssel mit seinem kleinen Garmin GPS wie gestern dabei haben, bestimmt Harry unsere Position indem er ein Foto mit seiner Canon EOS D6 schießt und die Koordinaten aus dem Kameraspeicher der EXIF-Eigenschaften abliest: N 35°41.14.0 E 27°32.42.1 Ein Vergleich mit dem Kompass des iPhone kommt bis auf kleine Abstriche zu selben Position.

Weiter geht es im Zickzack einen locker mit Pinien bewachsenen Hang hinauf. Dann in eine Schlucht hinunter mit einem Bachdurchlauf, der aber kein Wasser führt, und anschließend durch ein streckenweise mit schattenspendenen Pinien bewachsenen Pfadbogen wieder etwas bergan. Wir überlegen beim Laufen wie das Carian Trail-Team alle diese Pfade gefunden hat und kommen zu dem Schluss, dass die Routen natürlich nicht neu angelegt wurden – das wäre eine zu gewaltige Aufgabe gewesen und hätte eine Pfadfinder-Truppe jahrelang beschäftigt. Vielmehr handelt es sich bei den Routen um uralte Bauern-, Esel- und Transport-Pfade aus früheren, auch antiken Zeiten, in denen es noch keine Straßen gab, durch die Buchten und Dörfer verbunden waren.

Silbern flirren die feinen Blätter der dicht beieinander stehenden Olivenbäume im Wind. Manche Bäume sehen jahrhundertealt aus. Wer erntete all diese Früchte, die hier oben wuchsen? Wir stellen uns vor wie die schwer gefüllten Weidenkörbe nach der Ernte in die Täler hinunter transportiert wurden. Auf schwankenden Eselsrücken oder – auch das: auf den Rücken von Trägern, von Frauen gar. Damit verknüpft die Frage: wer pflückt, erntet, transportiert die Oliven heute? Störrische Esel, mit dem Traktor kommt man hier nicht herauf.

Wir bewundern die Erfinder und Macher des Carian Trail. Über 800 km mussten sie laufen, mit je einem roten und einem weißen Eimer Farbe über Stock und Stein, die beiden tropfenden Pinsel in der Hand, um rechts und links, manchmal im Abstand von wenigen Metern, Bäume und Steine zu markieren – über 30.000 sollen es sein. Sie mussten ja nicht nur die Markierungen anbringen, sondern zuerst die Wege erkunden, Einheimische befragen, diese vielleicht sogar überreden mitzukommen, um ihnen die richtigen Pfade zu zeigen. Dazu Zusammenhänge von einem Abschnitt zum nächsten herstellen und Übergänge auf Machbarkeit überprüfen, sichtbar machen und Schilder aufstellen. Das alles dann in eine Karte übertragen, den Trail zum Herunterladen auf der Internetseite stellen – ein unglaublicher Aufwand. Vermutlich viel aufwändiger als jeder Törnführer für Segler jemals war. Denn der Segler sitzt auf seinem Boot und muss nicht rot-weiße Markierungen ins Meer malen, während der Trail-Markierer gut zu Fuß sein muss, und Farbe, Zelt, Schlafsack, Wasser, Käse und Brot mit dabei haben muss.

Harry ist so begeistert vom Karischen Weg, dass er beschließt einen eigenen Trail zu konzipieren. "Wie wäre es", ruft er zwischen zirpenden Zikaden, "wenn wir den Alexander Trail erfinden würden? Von Makedonien bis nach Indien? The great trail – den größten Trail der Welt!" Seine, Harrys, Lebenszeit könnte dazu gerade ausreichen; ich müsste das Projekt wohl auf mein nächstes Leben verschieben.


In der mehr und mehr von Auto und Computer beherrschten Welt wird das Bewegen und Wandern immer wichtiger. Harry, der Webdesigner, merkt es an der rechten Schulter, wo die Computermaus als Handfortsatz angebaut ist. "Das Laufen tut so gut, ich spür es im Arm, im Hals und im Rücken." Deshalb, meint er, werden in Zukunft noch viele solcher Wanderrouten entdeckt und angeboten werden – überall in der Welt. Warum nicht den großen Alexander Weg konzipieren und mit den Farbtöpfen von Pella (Alexanders Geburtsort bei Thessaloniki) nach Indien laufen?

Nach weiterem Anstieg haben wir den höchsten Punkt des Strecke erreicht. Wir machen Pause und sitzen unter schattigen Pinien auf dem Waldboden, trinken Wasser aus den mitgenommenen Flaschen und essen unser aus der Ova-Bäckerei mitgebrachtes Käsebrötchen. Position: N 36°41.02.1 E 27°32.32.29, Höhe 217 m Um 11:32 ist die Pause vorbei und es geht weiter.

Die Idee ein Stück des Karischen Wegs zu machen hatte Harry gehabt. Ararat oder Datça Halbinsel waren seine Alternativen für eine Woche raus aus Düsseldorf gewesen. Aus Zeitgründen war es schließlich die Halbinsel, die wir uns vorgenommen hatten. Die wolle er in Gänze ablaufen, von Datça bis Knidos, von der Nordküste bis Palamut und jede Bucht und jeden Pfad mitnehmen. Jetzt, am vierten Tag, gibt er zu, dass das eine tollkühne Idee war und wir froh sein sollten, wenn wir morgen noch ein kleines Etappchen hinter uns bringen würden, bevor es wieder an den Computer nach Hause ginge.

Jetzt sind wir 187 m hoch in dichtem Gestrüpp, Position: N 36°41.05.5 E 27°32.36.9 Kurz darauf finden wir mitten in einem weiten Hang auf einmal keine Markierung mehr, weit und breit kein Rot-weiß! In welche Richtung geht es weiter? Sollen wir auf gut Glück den Hang traversieren und hoffen, dass wir den Weg im Gestrüpp irgendwo finden? Das könnte riskant sein, uns irgendwo hin führen, wo es weder vorwärts noch zurück geht. Wir suchen und finden überall nur Suhlkuhlen von den unsichtbaren, aber offenbar allgegenwärtigen Wildschweinen. Wir denken an gestern und beschließen gut aufzupassen, damit wir nicht plötzlich vor einem wilden Eber stehen. Durch Zufall finden wir dann aber doch wieder die Markierung. Ab jetzt geht's leicht bergab, das kratzige Gebüsch wird lichter und ab und zu erhaschen wir ein Durchblick auf die weite Bucht mit dem langen Strand von Palamut.

Wichtig ist: das X steht für verbotenen Weg; die beiden Striche nebeneinander für den richtigen. Und die beiden im rechten Winkel nach rechts oder links abgeknickten Striche signalisieren: Achtung, Richtungsänderung!

Wir sind den 4. Tag unterwegs. Man merkt es an der Kondition: sie ist stabiler und wir laufen beständiger. Vor zwei Tagen hatten wir versucht einen ummarkierten Pfad nur nach Buchangaben (Carla Winkler: Wandern zwischen Ägäis und Mittelmeer auf der Datça-Halbinsel) zu erkunden und waren irgendwo in der Macchia stecken geblieben, mussten schließlich umkehren und den selben Weg zurück marschieren. Hier auf dem Carian Trail dagegen ist die Orientierung eindeutig besser – bis auf die wenigen Ausnahmen.



Nach dem kahlen, umgefallenen Baum geht es kurz darauf wieder bergauf. Und dann über einen offenen, nur spärlich bewachsenen Buschhang, hinüber auf den nächsten Hügel. 12:02: Jetzt ist der Weg wieder weg! Wir stehen in niedrigem, kratzigem, fiesem Gestrüpp mit wenigen herausragende größeren Steinen. Wir trennen uns: Harry steigt nach unten, um die Markierung irgendwo dort zu entdecken, ich stapfe nach oben mit dem selben Ziel. Es dauert eine viertel Stunde bis ich an einem kümmerlichen Bäumchen wieder ein Zeichen finde. Wo ist Harry? Ich rufe laut, höre nichts, steige ab, ihn zu suchen. Endlich kommt er schlapp in den Schatten des Baumes. Die letzte Markierung hinter uns auf einem Stein hatte eindeutig nach Südwesten gezeigt, während wir uns jetzt hier oben bei dem Baum mehr nordwestlich befinden. Eine Fehlmarkierung. Sollen wir beim nächsten Trail selbst rote und weiße Farbe, und zwei Pinsel mitnehmen und nachbessern, wenn der Pfad irgendwo abhanden kommt?


Das letzte Stück ist ein kleiner Horrortripp: es geht über ein tief abfallendes Geröllfeld steil hinunter. Man rutscht, die Knie zittern, die Füße suchen Halt – das ist verdammt anstrengend. Beginnt man in Palamut um nach Hayitbükü zu laufen, kriegt man vermutlich nach dieser ersten Steilsteigung einen Krise und denkt, dass es immer so weiter geht. Aber weit gefehlt: nur das erste Stück ist so steil und mühsam, danach ist der Pfad moderat und sehr gut machbar.

12:55: Wir sind unten auf der Straße nach Palamut. Die Frau vom ersten Haus unmittelbar nach dem Steilhang lädt uns zum çay ein, lacht zahnlos, schüttelt uns die Hände, und ruft ihren großen schwarzen Hund zurück, der auf uns zugestürmt kommt: Korkma, korkma!, damit meint sie uns, wir sollen uns nicht fürchten.

Das gesamte Stück von Domuzçukuru bis Palamut ist zu lang für einen Tag. Es empfieht sich in Hayitbükü Station einzulegen. Im Buch wird die Strecke mit 17,5 km angegeben und mit einer Laufzeit von 7,5 Stunden. Wir brauchten 5,5 gestern und 3,5 heute, zusammen 9 Stunden. Die nächste Etappe von Palamut nach Knidos ist noch länger: 18,4 km und wird mit 8 Stunden angegeben. Wir meinen, dass dies nur für "strong walkers" an einem Tag zu machen ist. Wer nicht ganz so gut zu Fuß ist, sollte ein Zelt dabei haben oder sich von Boot oder Yacht in einer der Buchten wieder aufpicken lassen. Bei den vorherrschenden Nordwestwinden sollte dies keine Problem sein. Phantastisch ist dieser Abschnitt auf jeden Fall. Und als Ziel lockt die antike Stadt Knidos.


Diaschau von der Route: klick

zurück zum 1. Teil Domuzçukuru nach Hayitbükü: klick

Was braucht man für eine Wandertour auf dem Karischen Weg:
• Unbedingt gute Wanderstiefel, denn das Gelände ist teilweise sehr steinig
• Wanderstöcke
• Sonnenschutz (Hut, Sonnencreme)
• Leichte Regenjacke (bis Mitte Mai und ab Anfang Oktober kann es schon mal regnen)
• Badezeug (je nach Lust)
• 1,5 Liter Wasser pro Person (bei warmem Wetter mehr)
• Energiespender (Nüsse, Trockenfrüchte etc.)
• Handy (einzige Möglichkeit, bei Bedarf Unterstützung anzufordern, da kaum Menschen    unterwegs)
• Erste-Hilfe-Ausrüstung für Insektenstiche, Blasen, Schnittwunden, Kopfschmerz etc.
• Wegbeschreibung aus dem Wanderbuch (bisher gibt es noch keine deutsche Website bzw. Übersetzung    des Buches. Infos und Buchbestellungen sind möglich über www.cariantrail.com)
• Wenn man das Buch besitzt, kann man über die Website auch GPS-Daten herunterladen.


Segelwandern